Haro von Laufenberg (2019):

Vom Ende der "alten Zeit"

Zur Gemeinheitsteilungsordnung von 1821 (1851)

Mit der Gemeinheitsteilungsordnung von 1821 (1851) erzwang der preußische Staat die Voraussetzung für die Industrialisierung, setzte die nachhaltige Veränderung des Landschaftsbildes in Gang und begründete in den Nachwehen der sozialen Krise aus dem Desaster der Tambora-Eruption eine noch nachhaltigere soziale Krise. Der Aufsatz liefert eine kurze Einführung.

Veröffentlichung: 2017 im Eschweiler Geschichtsverein (online), 2020 in: "Auf dem Zeitpfeil von der Römerzeit bis gestern", S. 143-144, Stolberg/Rhld., Verl. Arbeitskreis Geschichte Mausbach (ISBN 978-3-00-066023-8)

Grund und Boden in der alten Zeit

Eigentum an Grund und Boden in unserem heutigen Verständnis war im Mittelalter unbekannt. Land war im Grunde ein Gemeinschaftsgut, es 'gehörte' dem König, der Rechte auf die Nutzung des Landes verlieh. Faktisch, in der Grundherrschaft wie im Rheinland, stand das Land zu Beginn der Moderne im Obereigentum des Grundherrn. Bauern waren insofern nicht Eigentümer ihrer Höfe, sondern besaßen als Untereigentümer lediglich ein dingliches Nutzungsrecht daran, für das individuell Abgaben und Dienste zu leisten waren, wobei im Rheinland früh von Naturalienleistungen zu Rentenzahlungen übergegangen worden war. (Zudem standen Bauern in persönlicher Abhängigkeit vom Grundherrn, etwa der Schollenbindung, dem Gesindezwang, der Heiratserlaubnis.) Daneben bestanden kollektive Nutzungsrechte der Dorfgemeinschaft an überwiegend unkultivierten Wiesen und Wäldern für die Viehwirtschaft und die Brennstoffversorgung, die Allmende.

Neue Zeit: Entstehung von kapitalistischen Eigentumsrechten

In den unter französischer Verwaltung stehenden linksrheinischen Gebieten und dann im Rheinbund war es bereits ab 1794 zur uneingeschränkten Freiheit von der Disposition über die eigene Arbeitskraft in der Landwirtschaft, einer Umwandlung der kaum zu überschauenden feudalistischen Ansprüche in kapitalistische Eigentumsrechte an Grund und Boden, zur Gewerbefreiheit und durch Zollvereinheitlichung und Abbau weiterer Handelshemmnisse zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum gekommen. Unter dem Eindruck der nahezu totalen militärischen Niederlage Preußens gegen Frankreich 1806 in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt und schließlich der vom französischen Kaiser verfügten Kontinentalsperre, der Wirtschaftsblockade des überwiegend unter französischer Kontrolle bzw. französischem Einfluss stehenden europäischen Kontinents gegen die britischen Inseln, gab es auch für den preußischen Staat keine Alternative zu wirtschaftlichen Reformmaßnahmen, um als Machtfaktor bedeutsam zu bleiben.

Privatisierung der Allmende und ihre Folgen

Mit den Restaurationsbeschlüssen des Wiener Kongresses 1815 nach der Niederlage Frankreichs gehörte die Aachener Gegend zu Preußen und 1822 zu der neuen preußischen Rheinprovinz. Die wesentlichen Neuerungen aus der Franzosenzeit wurden indes beibehalten (Restauration des Adels in der Rheinprovinz erst 1826), um, nicht zuletzt auch mit Wegfall der Kontinentalsperre, wirtschaftlich gegen die industrielle Konkurrenz aus Großbritannien zu bestehen. Die Steigerung der Agrarproduktivität hatte dabei wesentliche Bedeutung. So wurde den von den Franzosen geschaffenen institutionellen Voraussetzungen (Rechtsgleichheit, Abschaffung grundherrlichen Obereigentums) als dritte Säule einer Agrarreform die Individualisierung der Allmende in neues Eigentum für die Melioration der Böden und Umwandlung in Ackerland hinzugefügt. Auf Grundlage der preußischen Gemeinheitsteilungsordnung von 1821 (1851) wurden auf Antrag Servitute der Gemeinden insbesondere an Wäldern abgelöst, und gemeinschaftlich genutzte Flächen in privatrechtliches Parzelleneigentum umgewandelt. Solcherart Umwandlungen wurden ausschließlich vor den preußischen Behörden verhandelt, waren gerichtlich nicht überprüfbar, und die Beteiligten durften sich keines rechtlichen, insbesondere juristisch professionellen Beistands bedienen.

Gewinner und Verlierer

Gewinner waren adlige und bürgerliche Großgrundbesitzer und mittlere Bauern, Verlierer die Gemeinden und vor allem die unterbäuerliche Schicht. Denn die Aufteilung der Allmende erfolgte nicht nach sozialer Bedürftigkeit, sondern relativ zur Größe des bereits landwirtschaftlich genutzten Eigentums. Während die Ablösezahlungen bei den neuen Eigentümern wirtschaftlich i.d.R. keine oder nur kaum Belastungen darstellten, entzog die Auflösung der Allmende der unterbäuerlichen Schicht die Existenzgrundlage. War es dieser bislang möglich gewesen, ohne eigenes Land aber durch eine bescheidene Viehhaltung auf der Allmende und suech die Brennstoffversorgung aus dem Plenterwald ein Auskommen zu unterhalten, entfiel dies nun, und nach dem Heimatrecht waren die Gemeinden zum Unterhalt der Armen verpflichtet.

So ist es z.B. bezeichnend, dass die 28.000 Taler, welche die Gemeinde für die Ablösung ihrer Rechte am Erbenwald in Süchteln erhaltenen hatte, "zugunsten der Armen" verwendet werden sollten, wobei allerdings zuförderst der Bau eines Krankenhauses vorgesehen war (Eschweiler Anzeiger, 9. Jg. Nr. 7, Ausg. v. 23.1.1856), also im Rahmen einer Sekundärtugend der damaligen Zeit üblich die rasche Wiederherstellung von Arbeitskraft zugunsten der Industrie. Süchteln war ein Zentrum der Textilindustrie.

Nachdem in der leichtindustriellen Frühphase die Heimarbeit insbesondere in der Textilindustrie bereits kinderreiche Familien in der unterbäuerlichen Schicht erforderlich gemacht hatte, führte auch und letztendlich die Gemeinheitsteilung zum Pauperismus. Wer nun nicht gleich mit seinem Leben für die preußische "Bauernbefreiung" zahlen musste, fiel in das Arbeitskraftpotential für die zu Großbritannien konkurrenzfähige Schwerindustrie. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Arbeiters in dieser Industrie lag bei 25 bis 30 Jahren; Arbeiterfamilien in Eschweiler wurden in Kleinvieh-Ställen verpfercht, was noch in den 1950er-Jahren nachvollziehbar gewesen ist. Zudem stieg die existenziell begründete Beschaffungskriminalität wie Fruchtdiebstahl und Holzdiebstahl und Wilderei in den Forsten, und diese wurde erbarmungslos strafrechtlich verfolgt, auch weil sie als politischer Ungehorsam, als Auflehnung gegen den obrigkeitlichen Entzug der Allmende verstanden wurde.

Die Gemeinheitsteilung als dritte Säule der von oben erzwungenen Agrarrevolution im 19. Jh. führte nicht nur zu sozialer Ungerechtigkeit und Kriminalisierung der unteren Schichten durch die weitere Bereicherung bereits Vermögender zulasten der wirtschaftlich Schwachen und der Allgemeinheit; sie führte zudem zu einem nachhaltig veränderten Landschaftsbild durch die Aufgabe weitestgehend natürlich belassener Flächen infolge der Boden-Melioration der Allmende.

Förderer der Gemeinheitsteilung im preußischen Regierungsbezirk Aachen war u.a. der Landwirtschaftliche Verein (zu dem Kleinbauern und die unterbäuerliche Schicht keinen Zugang hatten), der darin wohl eine "anerkannte Wichtigkeit" (Eschweiler Anzeiger, 9. Jg. Nr. 1, Ausg. v. 2.1.1856) sah. Nach Göbel (1915, S. 3) waren im preußischen Regierungsbezirk Aachen 1886 bis 1898 noch 3.486 Besitzer oder 4.937 Hektar von der Gemeinheitsteilung betroffen. Rainer Sauer vom Dörferarchiv Gressenich hat mitgeteilt, dass Streitigkeiten über die Gemeinheitsteilung in Schevenhütte bis 1923 angedauert haben.